© 1990 Edizioni La Biennale di Venezia, Gruppo Editoriale Fabbri - Michael Freitag: Werner Liebmann

Bilder aus dem Jahr
Man muss vergessen, wo jemand herkommt, wenn es um seine Bilder geht. Biographien sind nur für Kunstschriftsteller von Belang. Sie wüssten sonst nicht, womit sie ihre Fehlurteile begründen sollten. Was sagt es schließlich, dass Werner Liebmann 1951 in Königsthal geboren wurde. Er ist dort nicht aufgewachsen. Was sagt es, dass er von 1977-82 in der Industriestadt Halle Malerei studierte. Er hat den Ort nie gemocht. Was gibt es zu denken bei der Information, dass der Kunststudent zuvor Ingenieur und danach Meisterschüler bei Bernhard Heisig in Leipzig gewesen ist, dass er heute in Berlin lebt und in Dresden an der Kunsthochschule lehrt: Liebmann malt Bilder.
Bilder, in denen das Licht aus Körpern fällt, die ihre bürgerliche Messbarkeit verloren haben. Alles sicher Gewusste ist zersprengt in Flecken, Linien und Punkten, die wie Spuren einer großen Zerstörung die Reste eines Planes bewahren, dessen Sinn uns seit langem verloren ging. Auf den Tafeln funkelt es wie in Legenden und Märchen von Vorwissen und verschollenen Wahrheiten um die rätselhafte Verbundenheit der Menschen und Dinge.
Sie atmen Geheimnisse, weil sie sich nicht zum Bildungsgegenstand für Nutzsucher versachlichen lassen. Deshalb sind die Farben mehr als die Beschreibung des fassbaren Seins: Agavengrün, glitzernde Scheelsucht flackert neben blutrot glühendem Schmerz. Im Krapplack verdirbt das Fleisch zum blühenden Aasgeruch des Fauligen, umguckt vom Schwarz der Konturen, die klaffend das Feld überziehen wie Rissnarben von stumpfen Messern.
Silberner Klang treibt sehnsüchtige Kreaturen aus dem Himmel. Und anderswo beschwört Nachtblau unter gellenden Sternen das Grauen der Wunder.
Hier ist nirgendwo Abbild, also auch nirgendwo Abstand. Die Bilder haben die Themenlosigkeit von Ideen. Sie quellen ohne Ziel, ohne Funktion, ohne den Anspruch auf letzte Wahrheit herauf und erklären nichts und begründen nichts.
So wird die sichtbare Realität malend entwirklicht. Nicht sie, ihr Wesen öffnet sich. Nicht die Erscheinung des Lichtes auf der Haut, sondern die Haut als Erscheinung des Lichtes behauptend. Nicht das, was die Außenwelt will, ist zu malen, sondern das brütende Selbst ist auf die Außenwelt geworfen durch Bilder, welche die Materie in den Traum erlösen. In Bildungen der Ahnung, ohne Zeit, ohne Historie, ohne Brauchbarkeit für Entzifferer.
Nicht Maria kommt vor Augen, sondern die Unbefleckte Empfängnis. Was da geschieht, ist so fern wie unser Inneres. Die Bilder berühren mit strahlender Angst die dumpfe Wirklichkeit des Vergessens, der die Bestätigung durch Begriffe fremd ist wie eine nach Daten geordnete Biographie noch kein Leben beschreibt.


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Origins are better forgotten when it is a matter of a person’s painting. Biographies are important only for writers. Otherwise they would have no basis for their own mistaken judgements. After all, does it matter, that Werner Liebmann was born in Königsthal in 1951? He did not grow up there. What is revealed by the fact that he studied painting from 1977 to 1982 in the industrial city of Halle? He never liked the place. What are we meant to think when we are informed that Liebmann was an engineer before becoming an art student, and that afterward he became a master pupil of Bernhard Heisig? That he lives today in Berlin and teaches at the Kunsthochschule in Dresden? Liebmann paints pictures. Pictures in which the light falls from bodies that have lost their bourgeois measurability. What was certain has now been exploded into spots, lines and points recalling a plan the meaning of which has long since been lost to us. His paintings, like legends and fairy tales, abound in the knowledge that precedes rationality, and lost truths about the mysterious bonds between people and things. They emanate secrets because they cannot be reduced to objects of stimulation for the casual consumer. This is why their colors are more than the description of a fleeting existence: agave green and glittering envy flicker next to the blood-red smoldering of pain. Flesh decays in rubiate to the putrid smell of decay, surrounded by black contours that overlay the field like the scars of dull knives. Silvery noise drives yearning creatures from the sky. And elsewhere deep nocturnal blue evokes the horror of miracles beneath ringing stars. Here there is neither imitation not delimitation. The paintings are as non-objective as ideas. They gush without aim, without function, without any claim to ultimate truth; they explain nothing and justify nothing. Thus is the visible reality dismantled by paint. Revealed is not reality, but the essence thereof. Not the appearance of light. What should be painted is not that which is desired by the outer world; instead the brooding self is dashed against the outer world by images that dissolve the material into dreams. These are not images, but imagines of the dimly-sensed, without time, without history, without any usefulness for those who might decode them. Revealed is not Mary, but the Unbefleckte Empfängnis. What happens there is as distant as our own internal world. These images impact against the dull reality of forgetting - a reality which eludes capture through words just as a biography eludes the data which attempt to describe it.