Matthias Flügge in „ Quadriga“ Heft 1 / 1989

Bilder aus dem Jahr
Anders als Richter und Wendisch, die sich auf unterschiedliche Weise ihre berlinische Herkunft zugute halten, kam Liebmann schon mit einem beachtlichen Werk in die Stadt.

Aufgewachsen in gesichts- und geschichtslosen Neubauansammlungen, als Maler geprägt in Halle, hatte ihn das Bedürfnis nach Anonymität und Kurzweil in urbane Strukturen getrieben, wie schon viele zuvor. Auch Enttäuschung kann Kreativität beflügeln. Der Berufsweg war verschlungen. Chemiestudium, Ingenieurtätigkeit: Liebmann hat sein Künstlerdasein ersehnt und hat es sich erkämpft.
Abgeklärt ist er nicht, und die Lust an der Malerei bleibt Triebfeder. Zuzeiten überwältigen ihn die Einfalle, manchmal überfordern sie die zu Gebote stehende Form. Der Maler entgrenzt dann seine Imaginationen zu rauschhaft branstigen Farben. Auf die ihn ereilenden Bildreize reagiert er als Virtuose, der es sich leistet, Konventionen zu durchbrechen. Aber die Rückversicherung in Stoffen, Motiven und Themen aus Literatur und Kunstgeschichte, auf die sein Werk nicht unwesentlich gründet, gibt einer wuchernden Phantasie das Gerüst.

Das ikonographische Arsenal ist zum Bersten gefüllt. Warum sich seiner nicht bedienen? Der Rest ist Malerei, Form und Farbe in einer Ebene. Und hier beginnt das eigentliche Problem. Liebmann ist es um Gegensätze zu tun. Seine Bilder sind auf Komplementärkontrasten aufgebaut, denen er nicht nur formal Eigenschaften, sondern geradezu philosophische Dimensionen zubilligt.

In den Dramen der Leinwand ziehen sie eigene Spannungsbögen, die der kontinuierlichen Handlung zuwiderlaufen und helfen, die Versuchungen des Nur-Erzählerischen zu umgehen. Es sind eher Schattenspiele, prismatisch in Farben gebrochen, als Kulissenräume, eher zerfaserte Auren des Lichtes als Gegenstandsdeutung und Novellen eher als Mythen.
Der Fluss des Lebens ist nicht im Fruchtbaren Augenblick gebannt. Im Furioso des Pinselschlags wagt der Maler den Rückblick des Orpheus, und es erstarren die Figuren. Notabene, Liebmann denkt in Kategorien des Sinnbildhafen. Der hier die „Malerfaust“ führt, ist im Grunde ein Romantiker an der Schwelle zwischen Hingabe und Ironie. Daher der Hang zur Allegorie und die Lust an der Ambivalenz, die deutschen Gesten in den geheimnisvollen Räumen, die Abendrotbeleuchtung, in der selbst scheinbar Alltägliches zur bizarren Katastrophe gerät und die wiederum ist oftmals nichts anderes als neu inszenierte Kunstgeschichte.

Doch Liebmann zitiert nicht Mode oder Komposition, sondern vergegenwärtigt den geistigen Kontext der Vor-Bilder, den er als Ballast braucht, um ihn im Prozess der Arbeit abwerfen zu können. So gewinnt man Überhöhung.

Gleich, ob es sich um Klingers „Handschuh“, Uhdes „Trommler» Davids toten Marat in der Badewanne oder die „Mantelübergabe» des heiligen Martin handelt - Liebmann malt sich die Situation buchstäblich aus.

Im „allmählichen Verfertigen der Gedanken beim Reden- entstehen neue Symbole einer anderen, gleichwohl fremden Wirklichkeit.
Oder, wie Alexander Haeder schreibt:

„Erst in der Gleichzeitigkeit von authentischer Begegnung und hämischer Anekdote, im Nebeneinander von Ernst und Lächerlichkeit wird der Blick auf die Gegenwart befreit. »