Text zur Ausstellung "das graue Rauschen" aus dem Katalog "Zeitvergleich" von 1988

Bilder aus dem Jahr
Das graue Rauschen«, das wir aus dem Weltraum empfangen, so sagt man, enthält alle nur möglichen Signale und Informationen. Unsere Unfähigkeit, deren Vielzahl voneinander zu trennen, zu decodieren, lässt ihren Inhalt unverständlich bleiben. Wenn man im Alten Testament nachliest, erfährt man, dass das -Licht machen« zu den allerersten schöpferischen Handlungen zählt. Nach dem Motto: »es werde« und »es ward« kommt Licht auf die als öde, finster und leer beschriebene Erde. Wahrscheinlich war es komplizierter.
Ich nehme an, dass es sich bei dem so emotional beschriebenen Zustand (bevor es Licht gab) um nichts Anderes handelte, als um eine optische Variante des eingangs beschriebenen Rauschens aus dem Weltall: GRAU. Sozusagen eine unendliche Vermischung winzigster Partikel aller nur denkbaren reinen Farben in den unterschiedlichsten Helligkeitsstufen von Weiß bis Schwarz. Damit wird »Licht machen“ zur Sisyphusarbeit, bedeutet es doch das Herauslesen und Abtrennen heller Teilchen von weniger hellen und von den dunklen. Dass nach mehreren Tagen derart aufwendiger Arbeit ein Tag Ruhe eingelegt werden musste, erscheint verständlich. Schließlich sind Gegensätze geschaffen worden! Aus unendlichem Grau wurde - endlich - Licht und dadurch Dunkelheit erlebbar.

War bisher alles ruhig und fernab der Fragen nach »gut« und »schlecht«, so existiert fortan ein Widerspruch, der Wertungen provoziert. Aber, wie gesagt, nicht nur hell und dunkel, schwarz und weiß, sondern alle nur denkbaren Farben haben Anteil an der großen Masse Grau, sind erlebbar zu machen durch das Herausfinden und Zusammenfassen von Zusammengehörigem in ähnlich schöpferischer Weise wie beim »Licht machen«.

Und wie man mit dem Licht in die Lage kam, die Dunkelheit zu sehen, erfährt man beim »Heraustrennen« einer Farbe aus dem Grau auch immer ihren Kontrastpartner: Mit Rot entsteht Grün, mit Gelb Violett, mit Orange Blau usw.

Und Gegensätze verhalten sich natürlich ihrer Spezifik gemäß: Sie fordern Wertungen heraus, bekämpfen sich, trachten aber auch nach Vereinigung. Zum Beispiel Rot und Grün: Kaum nebeneinander, beginnt sofort eine Rangelei: jeder möchte der Bedeutendere von beiden sein. Geht man darauf ein und nimmt nur eine Farbe von beiden, tritt Gewöhnungseffekt ein. Dieser führt recht bald dazu, dass man z.B. das Rot nicht mehr als die Besonderheit empfinden kann, die es noch darstellte, als es neben dem Grün aus dem Grau entstand. Eine einzelne Farbe ist dem Grau durch nichts überlegen. Lässt man aber im Rot eine kleine Fläche für das Grün, Teufel, das gibt ein Funkeln und Flimmern, weil Grün nie interessanter und auffälliger erscheint, als auf einer Insel im Meer von Rot. Da jede Farbe überhaupt erst durch ihren Kontrast erlebbar wird, führt das sogar dazu, daß man eine optische Täuschung erlebt, wenn man einen grauen Fleck innerhalb einer großen roten Fläche ausspart-. Er erscheint grün!!

Es ist die Sehnsucht wie nach Wasser, die durch das Fehlen des zum Rot gehörenden Gegensatzes ausgelöst wird. -Es muss doch noch etwas anderes geben als immer nur dieses Rot« - und die Erfahrung, dass bei der Entstehung aus dem Grau noch etwas anderes da war, erzeugt in unserem Auge vor lauter Durst danach eine grüne Fatamorgana-Insel.

Nur die Einseitigkeit des Grau ist einigermaßen erträglich. Dagegen entsteht beim Nebeneinander der Einzelfarben gerade wegen ihrer Eitelkeiten ein faszinierendes Spiel: je näher das Rot an das Grün heranrückt, um so stärker scheint es zu leuchten. Umgekehrt das Grün: noch ein Stückchen und noch eins und immer noch ein wenig strahlender. Man begreift ihre Zusammengehörigkeit. Will man beide jedoch auf Grund dieser Einsicht zusammenführen, erlebt man beim Verschmelzen gleichzeitig ihren Untergang im Grau, aus dem sie vordem entstanden. Sich nebeneinander behauptend, steigerten sie ihre Aktivitäten. Ausgleich suchend enden sie kraftlos. Das gilt natürlich nicht nur für Rot und Grün nicht nur für Hell und Dunkel, sondern für alle Gegensätze, für die farbigen auf jeden Fall. Das Verweilen beim Grau-Rot-Hell-Grün und Dunkel hat seine Ursache wohl darin, daß man allein damit Philosophien nähren und Bilder fertig stellen kann.

Aber nun endlich wieder zur Malerei: Es beginnt wie üblich. In der Ecke oder auf der Staffelei steht eine Leinwand. Die Vorstellung, sie sei grau, gibt dabei einen guten Anfang, kann man sich doch denken, alles Mögliche sei bereits vorhanden und müsse nur noch sichtbar gemacht werden. Und sichtbar machen heißt ja, Kontraste aufdecken. Der Beginn mit dem Licht ist möglich, und oft entsteht das schon, indem man die Fläche der Leinwand bis auf einen Fleck abdunkelt, der dann, wie man inzwischen weiß, als Fatamorgana-Insel zu leuchten beginnt. Damit ist die Ruhe zerstört. Die graue Leinwand war unauffällig. Jetzt aber ist ein Streit auf der Bildfläche entstanden, der beständige Einmischung und Wertung herausfordert.

Einmal muss dem leuchten wollenden Fleck gegenüber der dunklen Fläche geholfen werden, dann verlangt ein hinzugefügtes Grün nach Gegensatz. Zusätzlich fordern die Farben nach Gestalt, wollen Aggressivität oder Ruhe auch richtig zur Geltung gebracht wissen, spitzkantig böse oder harmonisch rund. Farbe verlangt nach Form. Reichen beide noch nicht aus, so kann man das Spannungsfeld erweitern durch Raum und Figur. Mich provozieren auf der Leinwand sich abzeichnende Form-Farbe-Konstellationen beständig zur Ortsbestimmung und Personifikation, zu Deutung und Wertung, und in glücklichen Momenten entstehen dann Figuren unter der Hand, die zur Handlung drängen, alles Mögliche miteinander ausmachen, um so fast traumartig das zu wiederholen, was man erlebt oder gefühlt zu haben glaubt, ohne dass man den konkreten Fall je benennen könnte.

Man kann da bei Kindern lernen. Anfangs war die Arbeit vielleicht eher Achtsamkeit, ja auch all den Postulaten zu genügen, was Malerei zu sein hat, was sie darf und was ihrer nicht würdig ist, schlimmstenfalls Vorsicht, »Gesetze« nicht zu übertreten.
An Vergnügen oder gar Spiel, der Malerei glücklichste Variante, war so natürlich nicht zu denken.

In dieser Phase beneidete ich meinen Sohn um die, Leichtigkeit seines Tuns. Er setzte sich, den Kopf angefüllt mit einer Menge unverarbeiteter Dinge, an ein Blatt Papier und entwickelte dort aus einem Geklecks und Strukturengespinst allmählich Figuren. Seine Intensität ging mitunter so weit, dass er, kaum noch ansprechbar, Beschwörungsformeln vor sich hinmurmelte: »der muß ganz böse sein, der muss ganz böse sein ... « Und ohne eine Ikonografie für einen »bösen« Ausdruck zu kennen, formte er so lange, bis das Ergebnis seinen Vorstellungen entsprach. Vielleicht wollte er auch nur den Hund aus Nachbars Garten malen, der ihm nicht richtig gelang, jedenfalls wünschte ich mir, trotz des (hochschulmäßig ausgebildeten) Wissens um Malerei eine Möglichkeit zu ähnlich emotionalem Handeln auf der Bildfläche zu finden, wie ich sie soeben beobachtet zu haben glaubte.

Die Konflikte, mit denen man täglich in Berührung kommt, erfordern eher berechnendes Kalkül und logisch-sachliche Handlungsweise als Emotionalität. Man gerät schnell aus der Übung, mit Bildern umzugehen, wenn man sich allzu sehr darin verstrickt.

Unbesehen ist das natürlich eine wesentliche Handlungsebene menschlicher Existenz, Malen ist eine andere. Wunderbar ist es, wenn es einem gelingt, logische Handlungsmechanismen zeitweise auszuschließen, um auf einen weißen Fleck zu reagieren oder auf Rot und Grün, um daraus eine Welt entstehen zu lassen, die ihre »Richtigkeit« oder »Wahrheit aus einer Analogie oder Parallelität zur Wirklichkeit bezieht und nicht aus deren Abbild.

Somit wurde die Trennung der Handlungsebenen zum Arbeitsansatz. Doch ganz gleich, ob hier oder dort, ist das Benennen von Gegensätzen wichtig, das Vermeiden von Einseitigkeiten und die Einsicht, dass Kontraste zusammengehören, damit Erlebnisfähigkeit gesichert bleibt. Manchmal ist es nicht nur der Beruf, der einen veranlasst, die zweite Handlungsebene der ersten vorzuziehen.